Mozart klingt wie ein arabisches Liebeslied - Barenboim dirigiert Mozart in Gaza
Dschawdat al Khoudary tut, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Lange bevor sich die palästinensische Führung daranmachte, einen palästinensischen Staat auszurufen, errichtete der Bauunternehmer aus Gaza-Stadt schon das Nationalmuseum; wenigstens für den Grundstock der archäologischen Sammlung:
"Besser ein kleines Museum als gar keines", sagte er sich, und so entstand am Rand des Schati-Flüchtlingslagers das Kulturzentrum "Al Mathaf", zu dem auch ein Hotel und Restaurant gehören - als eine Art trotziges Bekenntnis zu Kultur und Geschichte seiner Heimatstadt Gaza, die mehrere Jahrtausende älter ist als die Herrschaft der Islamisten der Hamas.
Zeichen gegen die kulturelle Blockade: Barenboim dirigiert am 3. Mai Mozart im Al Mathaf Cultural House in Gaza City Am Dienstag kann aber auch der unerschrockene Kulturvisionär seine Nervosität nicht verstecken. Erst als Daniel Barenboim den Einsatz zur "Kleinen Nachtmusik" gibt, entspannen sich Khoudarys Züge. Dass in seinem sandfarbenen Bau am Mittelmeer Musiker der Wiener und Berliner Philharmoniker und drei weiterer europäischer Orchester auftreten würden, wagten selbst Palästinenser wie er bis zuletzt nicht wirklich zu träumen.Ähnlich hartnäckig wie Khoudary hatte jedoch der in Israel aufgewachsene Pianist und Berliner Staatsoperndirektor sich seit Jahren nicht von seiner Idee abbringen lassen, auch in Gaza Musik zu machen, wie er es schon seit mehr als einem Jahrzehnt in Ramallah im Westjordanland tut.
Widerstand aus den Reihen der Hamas
Nach dem Tod von Terroristenführer Osama Bin Laden hat die Reise zusätzliche Brisanz gewonnen. Innerhalb der Hamas gab es Widerstand gegen das Konzert. Barenboim hatte noch bis tief in die Nacht verhandelt, schließlich gab es doch eine Genehmigung.
"Wir wollen ein Zeichen gegen die kulturelle Blockade setzen. Wir sind hier, um zu zeigen, dass sich die Menschen um Euch sorgen", sagt er zu Beginn des Konzerts, an dem die Zuhörer schon stehend applaudieren. Für die meisten seiner israelischen Landsleute ist der von den Islamisten der Hamas beherrschte Gazastreifen "Hamastan"; noch vor gut zwei Jahren tobte dort ein wochenlanger Krieg zwischen Israel und der Hamas.
Draußen auf dem Meer durchpflügt ein Patrouillenboot der israelischen Armee die Wellen, auf der Straße vor dem Museum stehen bärtige Hamas-Polizisten in schwarzen Uniformen Wache. Drinnen stört nur das leise Klirren der orientalischen Deckendekoration im Wind der Klimaanlage die Musik Mozarts- und ab und zu ein klingelndes Mobiltelefon: Gut 400 Zuhörer haben mehrere Nichtregierungsorganisationen und die Vereinten Nationen eingeladen, die das Konzert organisierten.
Auch mehrere Schulklassen sind dabei, ordentlich nach Jungen und Mädchen getrennt; die meisten Schülerinnen haben ihr Haar mit einem weißen Kopftuch bedeckt. Vertreter der Hamas, die seit Jahren daran arbeiten, ihre islamischen Moralvorstellungen durchzusetzen, sind nicht eingeladen.
Barenboim reist mit insgesamt 50 Gästen an. Er bringt nicht nur Musikerkollegen aus ganz Europa mit, sondern auch Wegbegleiter, die ihm nahestehen. Seine Ehefrau, die Pianistin Elena Bashkrova, und die Witwe von Edward Said zum Beispiel. Eine Quelle der Inspiration, sei für ihn bis heute der verstorbene palästinensisch-amerikanische Literaturwissenschaftler, mit dem er zusammen das West-Eastern Divan Orchestra gründete.
Nach seinem Solidaritätskonzert für die Palästinenser im Gaza-Streifen hatte sich Barenboim für einen stärkeren internationalen Druck auf Israel gegen die Blockade des eingeschlossenen Gebiets ausgesprochen. Unter den Violinisten des nur für diesen Anlass zusammengestellten "Orchesters für Gaza" ist auch Barenboims Sohn Michael. Im Publikum sieht man auch den ZDF-Intendanten Markus Schächter. Die einzige längere Probe gab es am Abend zuvor auf dem ägyptischen Flughafen von El Arisch, wohin sie ein eigens gechartertes Flugzeug gebracht hatte.Erst als sie in der Luft waren, wurde der seit Wochen geplante Auftritt bekanntgegeben. Aus Sicherheitsgründen fährt die Musiker-Delegation dann nur für wenige Stunden zu dem Konzert in den gut 40 Kilometer entfernt liegenden Gazastreifen.
"Wenn wir ein Stück proben, spielen wir es, als wäre es das erste Mal, auch wenn wir es schon immer aufführten. Neu zu denken ist unser Alltag", erläutert der Dirigent dem palästinensischen Publikum und fordert es auf, es den Musikern gleichzutun: Die arabischen Revolutionen und die Atomkatastrophe in Japan haben für ihn ohnehin "alles in Frage gestellt".
Plädoyer für einen palästinensischen Staat
Am Ende des Konzerts hält er dann aber doch noch die politische Rede, die er als "UN-Friedensbotschafter" eigentlich vermeiden wollte. Barenboim verurteilt den Siedlungsbau und jegliche militärische Gewalt, spricht sich für einen Palästinenserstaat aus.
Auch der Termin des Auftritts wirkt hochpolitisch. Denn am Tag nach dem Konzert besiegeln die Hamas und die Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Kairo feierlich das Versöhnungsabkommen, das ihren Bruderkrieg beenden soll. Er hoffe, dass das gelinge, sagt Barenboim.
Überwiegend positive Resonanz: Das Mozart-Konzert wurde von den Palästinensern mit Begeisterung aufgenommen. Der Auftritt in Gaza habe damit aber nichts zu tun. Die neue ägyptische Regierung, die ihre Grenze zu Gaza bald ganz öffnen will, erleichterte zumindest die Einreise der Musiker. Israelische Behörden hatten in der Vergangenheit Barenboim ihren Übergang nicht überqueren lassen.In Israel selbst war Barenboims Konzerttour den Medien nur kleine Meldungen wert. Der Tod Osama Bin Ladens verdrängt den Auftritt des streitbaren Musikers, von dem sich schon früher viele Israelis herausgefordert fühlten, als er in Israel Musik von Richard Wagner dirigierte.
In Gaza ist es dagegen nicht nur Mozart, der die Zuhörer begeistert. Ein freudiges Raunen geht während der ersten Takte von Mozarts g-Moll-Sinfonie KV 550 durch die Reihen: Sie bildeten das Vorbild für die Melodie eines Liebeslieds der bekannten arabischen Sängerin Fairuz. Dschawdat al Khudary lächelt: Auch für solche kulturellen Brückenschläge über Grenzzäune hinweg hat er sein Museum gebaut.
Hans-Christian Rößler
© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2011
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