Chor.
Erstling der Jugend in unserm Kreise, sei willkommen! Mit Trauer willkommen! Dir folge kein Knabe, kein Mädchen nach! Nur das Alter nahe sich willig und gelassen der stillen Halle, und in ernster Gesellschaft ruhe das liebe, liebe Kind!
Knaben.
Ach! Wie ungern brachten wir ihn her! Ach! Und er soll hier bleiben! Lasst uns auch bleiben, lasst uns weinen, weinen an seinem Sarge!
Chor.
Seht die mächtigen Flügel doch an! Seht das leichte, reine Gewand! Wie blinkt die goldene Binde vom Haupt! Seht die schöne, die würdige Ruh!
Knaben.
Ach! Die Flügel heben sie nicht; im leichten Spiele flattert das Gewand nicht mehr; als wir mit Rosen kränzten ihr Haupt, blickte sie hold und freundlich nach uns.
Chor.
Schaut mit den Augen des Geistes hinan! In euch lebe die bildende Kraft, die das Schönste, das Höchste hinauf, über die Sterne das Leben trägt.
Knaben.
Aber ach! Wir vermissen sie hier, in den Gärten wandelt sie nicht, sammelt der Wiese Blumen nicht mehr. Lasst uns weinen, wir lassen sie hier! Lasst uns weinen und bei ihr bleiben!
Chor.
Kinder! Kehret ins Leben zurück! Eure Tränen trockne die frische Luft, die um das schlängelnde Wasser spielt. Entflieht der Nacht! Tag und Lust und Dauer ist das Los der Lebendigen.
Knaben.
Auf, wir kehren ins Leben zurück. Gebe der Tag uns Arbeit und Lust, bis der Abend uns Ruhe bringt und der nächtliche Schlaf uns erquickt.
Chor.
Kinder! Eilet ins Leben hinan! In der Schönheit reinem Gewande begegn’ euch die Liebe mit himmlischem Blick und dem Kranz der Unsterblichkeit!
Aus: Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, Achtes Buch, 8. Kapitel (→http://www.wissen-im-netz.info/literatur/goethe/willehr/8-08.htm)