Ghiyath al-Din Abul Fateh Omar Ibn Ibrahim Khayyam (Omar Chayyām, Omar Chajjam, Omar Khayyám):
Rubaijat

Umsonst suchst du den Ew'gen festzuhalten;
Hin durch der Schöpfung Adern treibt
Es ihn in tausendfältigen Gestalten;
Sie wechseln und vergehn; er bleibt.

Ein jegliches Herz, das die Liebe verklärt,
Gleichviel welcher Glaube die Andacht nährt,
Hat die Leuchte zum Ziel alles Höchsten gefunden,
Hat Himmel und Hölle in sich überwunden.

Von wohl siebzig Religionen hör' ich, die's auf Erden gibt;
Doch die wahre Religion ist die nur, daß der Mensch dich liebt.
Islam, Gottesdienst und Glaube – ferne mag dies Possenspiel,
Dieses eitle, stets mir bleiben! Du nur, du nur bist mein Ziel.

Although the creeds number some seventy-three,
I hold with none but that of loving Thee;
What matter faith, unfaith, obedience, sin?
Thou'rt all we need, the rest is vanity.

Du, dessen heilig Geheimnis wir nicht verstehn,
Siehst nicht auf unseren Gehorsam noch unsere Vergehn.
Die Sünde beugt mich, die Hoffnung erhebt mich,
Das Vertrauen zu Dir, Allbarmherziger, belebt mich.

Über die Religionen sinnen viele und die Glaubenssekten,
Zwischen Zuversicht und Zweifel schwanken andre fort und fort;
Doch ein Ruf wird einst ertönen: »O ihr Geistesnachtbedeckten,
Wisst, der wahre Weg zum Heile liegt nicht hier und liegt nicht dort.«

Viele Menschen grübeln über Glauben und Sitte,
Zwischen Zweifel und Gewissheit stehn viele in der Mitte.
Unversehens ruft Einer aus dem Hinterhalt her:
Ihr Thoren, der rechte Weg ist nicht dieser noch der!

Some always seek the rational mind
Some will appeal to faith that’s blind
If you turn within, you’ll surely find
Both paths will lead further behind.

Some are in endless pursuit
Some seek the forbidden fruit
I fear the voice that is mute
Cry out, "path ain’t fruit nor root!"

Alike for those who for TO-DAY prepare,
And those that after a TO-MORROW stare,
A Muezzin from the Tower of Darkness cries
"Fools! your Reward is neither Here nor There."

Some in deep thought spirit seek
Some lost in awe, of doubt reek
I fear the voice, hidden but not weak
Cry out "awake! Both ways are oblique."

Some are thoughtful on their way
Some are doubtful, so they pray.
I hear the hidden voice that may
Shout, "Both paths lead astray."

Die einen streiten viel um Glauben und Bekenntnis,
Die andern grübeln tief nach Wissen und Erkenntnis;
So wird es gehn, bis einst der Ruf sie schreckt:
Es fehlt so euch wie euch zur Wahrheit das Verständnis.

Um Dogmen und Satzungen streiten die einen,
Die andern um Glauben oder Verneinen.
Wer sind nun die, denen die Wahrheit sich zeigt?
Die Antwort ertönt: sie zeigt sich keinen.

Some look for truth in creeds, and forms, and rules;
Some grope for doubts or dogmas in the schools;
But from behind the veil a voice proclaims,
"Your road lies neither here nor there, O fools."

Von allen, die auf Erden ich gekannt,
Ich nur zwei Arten Menschen glücklich fand:
Den, der der Welt Geheimnis tief erforscht,
Und den, der nicht ein Wort davon verstand.

They who by genius, and by power of brain,
The rank of man's enlighteners attain,
Not even they emerge from this dark night,
But tell their dreams, and fall asleep again.


They exemplified knowledge and propriety
The became the candle of light with friends and notoriety
They did not make it out this dark night
They told a fabulous tale, and to sleep they went, so slight

Die ihre Lust nur stets gesucht im Wein
Und die gegrübelt nur nach Schein und Sein,
Sie alle fanden der Wahrheit Faden nicht,
Redeten wirr und schliefen schließlich ein.

Slaves of vain wisdom and philosophy,
Who toil at Being and Nonentity,
Parching your brains till they are like dry grapes,
Be wise in time, and drink grapejuice like me!

Meinen tongeformten Becher brach ich gestern Nacht entzwei;
Trunken bin ich wohl gewesen, und mir deuchte, einen Schrei
Hört' ich durch des Bechers Scherben, die am Boden lagen, schleichen:
»Deinesgleichen war ich ehmals; morgen bist du meinesgleichen!«

O komm, Geliebte, komm, es sinkt die Nacht,
Verscheuche mir durch deiner Schönheit Pracht
Des Zweifels Dunkel! Nimm den Krug und trink,
Eh man aus unserm Staube Krüge macht.

With fancies, as with wine, our heads we turn,
Aspire to heaven, and earth's low trammels spurn;
But, when we drop this fleshly clog, 'tis seen
From dust we came, and back to dust return.

O Herz, da die Welt nichts als Schatten und Schein,
Warum quälst du dich ab in unendlicher Pein?
Mit ruhigem Sinn geh‘ dem Schicksal entgegen
Und glaub nicht, es ändere sich deinetwegen!

O heart! this world is but a fleeting show,
Why should its empty griefs distress thee so?
Bow down, and bear thy fate, the eternal pen
Will not unwrite its roll for thee, I trow!

Better to make one soul rejoice with glee,
Than plant a desert with a colony;
Rather one freeman bind with chains of love,
Than set a thousand prisoned captives free!

Du willst in deinem kurzen Leben
das große Rätsel lösen, Freund?
Beeil dich, denn ein dünnes Haar
Trennt Trug und Wahrheit, kaum zu sehen.

Ich geh' dahin und laß die Welt zurück im Streit,
Und hatt' von hundert Perlen doch kaum eine aufgereiht. -
Unausgesprochen blieb so manches tiefe Wort,
Weil's doch niemals verstanden hätte meine Zeit.

Soon shall I go, by time and fate deplored,
Of all my precious pearls not one is bored;
Alas! there die with me a thousand truths
To which these fools fit audience ne'er accord.

Dann streute ich die Saat der Weisheit aus
und pflegte sie mit eigenen Händen
doch dies ist alles, was mir blieb als Ernte:
Ich kam als Wasser und verhauch als Wind.

He, in whose bosom wisdom's seed is sown,
To waste a single day was never known;
Either he strives to work great Allah's will,
Or else exalts the cup, and works his own.

And that inverted Bowl they call the Sky,
Whereunder crawling coop’d we live and die,
Lift not your hands to It for help---for it
As impotently moves as you or I.

Ohne meinen Willen hat er mir zuerst das Sein gegeben,
Und mit Staunen und Verwundrung schau' ich an mein eignes Leben.
Uns zum Kummer aus der Welt dann werden wir hinweggerissen,
Ohne unsres Kommens, unsres Gehens Zweck und Ziel zu wissen.

Geschaffen hat den Himmel nur der Mensch durch sein Verlangen;
Die Hölle ist ein Schatten nur, den unser Geist voll Bangen
In jenen Abgrund wirft, der bald uns wiederum verschlingt,
Nachdem wir erst vor kurzer Frist aus ihm hervorgegangen.

So viel Herzen such zu fesseln, wie du irgend fesseln kannst!
Glücklich du, wenn du auf Erden einen treuen Freund gewannst!
Minder wert sind hundert Kaabas als ein Herz von guter Art,
Drum nach einem Herzen richte, statt nach Mekka, deine Fahrt!

Young wooer, charm all hearts with lover's art,
Glad winner, lead thy paragon apart!
A hundred Kaabas equal not one heart,
Seek not the Kaaba, rather seek a heart!

Wenn in deines Herzens Tiefen nur die Saat der Liebe sprießt,
Gleich ist's, ob du in Moscheen oder Götzentempeln kniest;
Hast du in das Buch der Liebe deinen Namen eingeschrieben,
Nicht mehr denkst du dann an Strafe oder an Belohnung drüben.

Kurze biographische Informationen zu Omar Chajjam

Omar Chajjam (andere Schreibweisen: Omar-i, Omar-e Chaijam, Khayyam, Khajjam, Hayyam) wurde 1048 in Nischapur [Persien] geboren und starb dort 1131. Omar stand bei seinen Zeitgenossen vor allem als Gelehrter in hohem Ansehen; er war ein hervorragender Mathematiker, Astronom, Physiker und Philosoph. Er verfasste Schriften über Algebra, Geometrie und andere Bereiche und war einer der bekanntesten Mathematiker seiner Zeit. In seiner Schrift über die Algebra ist Omar zu Ergebnissen gelangt, welche die abendländische Wissenschaft erst im sechzehnten Jahrhundert erreicht hat.

Seinen eigentlichen Ruhm erlangte er jedoch als Verfasser der Rubaijat, einer Sammlung von Sinnsprüchen, die er meisterhaft beherrschte. Er war ein ungewöhnlich origineller Dichter, der seine skeptisch-mystische Lebensphilosophie, mit einfachen Epigrammen zu vermitteln wusste.

Das Ruba'i, pl. Rubaijat besteht nur aus vier Zeilen. Jedes Rubai ist ein eigenes, selbständiges Gedicht. Sein Charakteristikum ist das Reimspiel: Die erste, zweite und vierte Zeile enden im selben Reimklang, während die dritte reimlos bleibt.

Der englische Dichter und Übersetzer Edward FitzGerald war der erste, der Chajjams Vierzeiler der westlichen Welt im Jahr 1859 vorstellte. Die Verse wurden in England daraufhin bekannter als jede andere Dichtung weltlicher Prägung aus dem orientalischen Raum. Omar wurde in Europa und Amerika zum berühmtesten aller östlichen Dichter. Das Buch 'Rubáiyát of Omar Khayyám' sei, so die Literatur über FitzGerald, das nach der Bibel im angelsächsischen Sprachraum meist verbreitete Buch.

Den religiösen wie den wissenschaftlichen Dogmatismus hat Omar auch in seinen wissenschaftlichen Arbeiten kritisiert. In der Einleitung seines Werks über die Algebra schreibt er bezüglich der heuchlerischen und bösartigen Intrigen mancher seiner Zeitgenossen u.a. folgende Zeilen: "Die meisten von denen, welche heutzutage für Gelehrte gelten, verbergen die Wahrheit durch die Lüge und kommen nicht über die Schranken eines bloßen Scheingelehrtentums hinaus, indem sie das, was sie an Kenntnissen besitzen, lediglich materiellen und niedrigen Zwecken dienlich machen. Und wenn sie einem Mann begegnen, der sich wirklich durch sein Streben nach der Wahrheit und durch seine Liebe zur Wahrhaftigkeit auszeichnet, der Eitelkeit und Lüge von sich weist und den falschen Schein und die Augenverblendung meidet, dann machen sie ihn zum Gegenstande ihrer Verachtung."

Der Wein als Metapher hat in der sufischen Symbolik die Bedeutung einer ekstatischen Erhebung zu Gott. Omar hatte wohl mit Sufismus nicht im geringsten zu tun. Er dichtete vielmehr u.a. gegen diesen. Eine Gemeinsamkeit zwischen Sufis und Omars Mystik zu suchen, wäre m.E. zwecklos. Die Freiheit des Denkens und des Forschens war für Omar von großer Bedeutung. Sein Weintrunk galt deshalb in erster Linie als Sinnbild für freies Denken.

Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers

Von Omars Leben ist nicht sehr viel bekannt. Wir wissen allerdings, dass er von frühester Jugend an eine ausgezeichnete Erziehung in allen Bereichen der damaligen Wissenschaft genossen hat. Schon bald genoss er bei seinen Zeitgenossen vor allem als Gelehrter hohes Ansehen. Er war nicht nur ein hervorragender Mathematiker, sondern beschäftigte sich auch intensiv mit Astronomie, Physik und Philosophie. Er verfasste Schriften über Algebra und Geometrie und war einer der bekanntesten Mathematiker seiner Zeit. Es ist bemerkenswert, dass Omars Schrift über die Algebra seiner Zeit um Jahrhunderte voraus war. Tatsächlich bewegt sich Omar mit seinen Algebra Erkenntnissen auf einem Niveau, das tatsächlich vom Abendland erst im sechzehnten Jahrhundert erreicht wurde.

Bereits zu seinen Lebzeiten stand Omar in dem Ruf ein Weiser zu sein. Es scheint sicher, dass Omar ein großer Mystiker war. Mystiker verbargen ihr spirituelles Leben bekanntlich vor weltlichen Menschen und oberflächlichen, orthodox-religiösen Eiferern. Durch Verschwiegenheit und die Gewohnheit, tiefe Wahrheiten hinter einem Schleier exotischer Symbolik zu verbergen, schützten sie sich vor Verfolgung, die ihnen wegen ihrer unorthodoxen Ansichten drohte. Omar Khajjam war wie sie weitherzig, vollständig frei von religiösem Dogmatismus.

Seinen eigentlichen Ruhm erlangte Omar jedoch als Verfasser der Rubaijat, einer Sammlung von Sinnsprüchen, die er meisterhaft beherrschte. Das Rubai (Mehrzahl Rubaijat) besteht nur aus vier Zeilen. Jedes Rubai ist ein eigenes, selbständiges Gedicht. Sein Charakteristikum ist das Reimspiel: Die erste, zweite und vierte Zeile enden im selben Reimklang, während die dritte reimlos bleibt. Omar war ein ungewöhnlich origineller Dichter, der seine skeptische mystische Lebensphilosophie wunderbar in seinen Sinnsprüchen zu vermitteln wusste. Mit Ironie und Skepsis, aber auch mit gelassener und heiterer Melancholie werden Themen wie Tod, Liebe und Vergänglichkeit behandelt. Die Grundaussage lautet in etwa: Da alles Irdische vergänglich, unser Leben sehr kurz ist und selbst ernsthaftes Bemühen nie zur Erkenntnis der Wahrheit führt, gibt es für den Weisen nichts Besseres, als sein kurzes Dasein zu genießen und sich schon auf Erden ein Paradies zu schaffen, das uns sicherer zu sein scheint, als alles, was man uns für das "Jenseits" verheißen mag. Durch die berühmte Oxforder Handschrift aus dem Jahre 1461 und der darauf basierenden englischen Nachdichtung des Dichters und Übersetzers Edward Fitzgerald von 1859 fanden Omars Sinnsprüche Eingang in die westliche, besonders in die englischsprachige Literatur. Dank Fitzgerald wurden Khajjams Vierzeiler in England bekannter als jede andere Dichtung weltlicher Prägung aus dem orientalischen Raum. Omar wurde in Europa und Amerika zum berühmtesten aller östlichen Dichter. Im angelsächsischen Sprachraum gilt deshalb Omars Werk nach der Bibel als das meist verbreitete Buch.

soforthoeren.de

2 Kommentare:

Johanna hat gesagt…

Khayyam sprach, aus Prinzip, dem Rebensafte zu, und nicht immer ist in vino veritas.

Johanna hat gesagt…

Aus dem Blog von Haci Mustafa:

Wer Omar Hayyam wirklich war -
Ein skeptischer areligiöser Mystiker oder Sufi mit skeptischen Zügen?

Omar Hayyam wurde bekannt als ein Mystiker, der sehr von Skeptizismus beeinflusst war und scheinbar zu allen Religionen distanziert war oder sie alle umfassen wollte. Er sei gegen jede Art von Dogma gewesen. Der Theologe Dr. Gündüz Deniz kommt nach seiner Erforschung des "Silsiletut teratip" des Omar Hayyam zur Ergebnis, dass Hayyam ein Sufi war und die Begriffe wie "Wein" oder "Frau" metaphorische Ausdrucksweisen sind, die gewöhnlich Sufis benutzten. "Wein" steht für Liebe zu Allah. In dem genannten Werk beschäftigt sich Hayyam mit der Klassifizierungen und Charakterisierungen jener, die die Wahrheit suchen. Dabei liegt er weitgehend auf der Linie des bedeutenden Gelehrten Ghazali, der sein Zeitgenosse war und sie sich höchstwahrscheinlich kannten. Beide wurden vom Sultan Melikschach und seinem Wezir NIzamulmulk gefördert. Des Weiteren hatten beide unter anderem denselben Lehrer Imam Dschuwayni, dem bedeutenden Ashari-Gelehrten. Beide Gelehrten schreiben, dass Sufitum höheren Wert und Ehre zukomme als dem dialektischen Theologie und dem Philosophie. Auch Hayyam betont, der Mensch müsse die Zufriedenheit Allahs erreichen und demgemäss nach Gottesgeboten leben. Wie Ghazali führt er aus, dass die Sufis diejenigen sind, die Sebsterkenntnis und Gotteserkenntnis, die Erkenntnis der Wahrheit und Wirklichkeit suchen und erreichen. Seine Kritik an Scheinheiligen und Halbgelehrten als grundsätzlichen Kritik an die traditionellen Gelehrten darzustellen bleibt unerfüllt. Will man unbedingt seine Vierzeiler wortwörtlich nehmen und ohne in Zusammenhang mit seinen Traktaten und anderen Werken so kann man auch zur der gängigen heutigen Charakterisierungen kommen.
Ausführlich zu lesen über diese Thematik i Zeitschrift "Tasavvuf ilmi ve akademik arastirma dergisi", Nr.10, 2003, S.147-158.