Dû bist mîn, ih bin dîn

Dû bist mîn, ih bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen,
verlorn ist daz sluzzelîn:
dû muost och immer darinne sîn.

Chume, chum, geselle mîn,
ih enbîte harte dîn!
ih enbîte harte dîn,
chume, chum, geselle mîn.

Suozer roservarwer munt,
chum unde mache mich gesunt!
chum unde mache mich gesunt,
suozer roservarwer munt.

Ih wil trûren faren lân,
ûf die heide sul wir gân,
vil liebe gespilen mîn,
dâ seh wir der blumen schîn.

Ih sage dir, ih sage dir,
mîn geselle, chum mit mir!

Suziu minne, râme mîn,
mache mir ein krenzelîn,
daz sol tragen ein stolzer man,
der wol wîben dienen chan.


 

[Anonyme Verfasserin, 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts]

Dieses Gedicht wird des öfteren Walther von der Vogelweide (ca. 1170-1230) zugeschrieben. Es scheint aber sicher, daß es nicht von ihm stammt. Es findet sich als zusammenfassender deutscher Abschluß am Ende eines rhetorisch-gelehrten, ansonsten in lateinischer Sprache geschriebenen Liebesbriefes einer hochgestellten Dame und Nonne an ihren Lehrer, einen Kleriker. Thema des Briefes ist die "amicitia", die Freundschaft. Im darauffolgenden Brief wirbt der Geistliche um die Dame, die ihn aber in einem dritten Brief klar abweist - sie hat das Gedicht offenbar eher platonisch gemeint. Alle drei Briefe stammen aus einer Briefsammlung des Werinher von Tegernsee, die uns in einer um 1200 geschriebenen Handschrift erhalten ist (heute in der Münchner Universitätsbibliothek, Codex lat. 19411)

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