♫ Bruckner's Ninth, Finale, Coda

[Nikolaus Harnoncourt, Wiener Philharmoniker. Gesprächskonzert (live), Salzburger Festspiele 2002, RCA/BMG]

»Laut Berichten von Zeitzeugen wie dem Mitautor der ersten Bruckner-Biografie Max Auer soll Bruckner eine Kopplung der Hauptthemen aller vier Sätze vorgesehen haben. Marthé spricht sogar von einer Übereinanderschichtung aller wichtigen Themen der fünften, siebenten, achten und neunten Sinfonie.«
[http://de.wikipedia.org/wiki/9._Sinfonie_(Bruckner)#Vierter_Satz:_Finale._.28alla_breve_.2F_ohne_originale_Tempoangabe.29]
«Large portions of the movement were almost completely orchestrated, and even some eminent sketches have been found for the coda (the initial crescendo/28 bars, and the progression towards the final cadence, even proceeding into the final tonic pedalpoint/in all 32 bars), but only hearsay suggesting the coda would have integrated themes from all four movements: The Bruckner scholars Max Graf and Max Auer reported that they have actually seen such a sketch when they had access to the manuscripts, at that time in the possession of Franz Schalk. Today such a sketch appears to be lost. More importantly than the loss of the score bifolios of the coda itself, composer and Bruckner scholar Robert Simpson asserts in his book The Essence of Bruckner, is that the sketches that survive do not support the momentum to support such a conclusion. Some people think that there is no real inner continuity or coherence inherent to indicate an organically growing musical structure.»
[http://en.wikipedia.org/wiki/Symphony_No._9_(Bruckner)#Fourth_movement]

«Sébastien Letocart's completion (2008)
In the Coda he included quotations of themes from the Fifth, Seventh and Eighth Symphonies, the mid-subject of the Trio as a final Halleluja, and at the end, as originally intended by Bruckner, the themes from all four movements of the Ninth.
Sébastien Letocart's completion, together with the first three parts of the symphony, was recorded in 2008 by the French conductor Nicolas Couton with the MAV Symphony Orchestra of Budapest.»
[http://en.wikipedia.org/wiki/Symphony_No._9_(Bruckner)#S.C3.A9bastien_Letocart.27s_completion_.282008.29]

For comparison:
Nicola Samale / Benjamin-Gunnar Cohrs completion (2005), performed by Swedish Radio Symphony Orchestra under Daniel Harding, Stockholm, in November 2007

♫ Botschaft

Tsunami

Es geschieht in der Welt manches, bei dem alle möglichen Antworten auf die Frage, ob Gott gegenwärtig ist, völlig unzureichend sind - vom Zweifel an der Existenz eines gütigen, gnädigen Gottes bis zur fundamentalistischen Apologetik für das strafende Handeln eines gerechten Gottes:


1
http://www.youtube.com/watch?v=b9DMiy_DVok

2
http://www.youtube.com/watch?v=S0p_6G5GIeo

3
http://www.youtube.com/watch?v=PHpG1P3JwEU

4
http://www.youtube.com/watch?v=zTVwsqdcA7U

5
http://www.youtube.com/watch?v=L9GZapApWIE

6
http://www.youtube.com/watch?v=E8evwWIigFQ

7
http://www.youtube.com/watch?v=H7BqPEPHnck

♫ How Fortunate the Man With None

[…] For the lyrics, Brendan Perry picked 4 stanzas from Bertolt Brecht's 1928 poem "Die Ballade von den Prominenten", in the English translation by John Willett (Brecht used a similar version of this poem as "Die Schädlichkeit von Tugenden" in his 1939 play Mother Courage and Her Children, and a slightly different version as "Salomon-Song" in his 1928 Threepenny Opera, act III, number 18).
[Source: Wikipedia]

 

You saw sagacious Solomon
You know what came of him,
To him complexities seemed plain.
He cursed the hour that gave birth to him
And saw that everything was vain.
How great and wise was Solomon.
The world however did not wait
But soon observed what followed on.
It's wisdom that had brought him to this state.
How fortunate the man with none.

You saw courageous Caesar next
You know what he became.
They deified him in his life
Then had him murdered just the same.
And as they raised the fatal knife
How loud he cried: you too my son!
The world however did not wait
But soon observed what followed on.
It's courage that had brought him to that state.
How fortunate the man with none.

You heard of honest Socrates
The man who never lied:
They weren't so grateful as you'd think
Instead ther ulers fixed to have him tried
And handed him the poisoned drink.
How honest was the people's noble son.
The world however did not wait
But soon observed what followed on.
It's honesty that brought him to that state.
How fortunate the man with none.

Here you can see respectable folk
Keeping to God's own laws.
So far he hasn't taken heed.
You who sit safe and warm indoors
Help to relieve out bitter need.
How virtuously we had begun.
The world however did not wait
But soon observed what followed on.
It's fear of god that brought us to that state.
How fortunate the man with none.

Ihr saht den weisen Salomon,
Ihr wisst, was aus ihm wurd'.
Dem Mann war alles sonnenklar,
Er verfluchte die Stunde seiner Geburt
Und sah, dass alles eitel war.
Wie groß und weis war Salomon!
Und seht, da war es noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Weisheit hatte ihn so weit gebracht!
Beneidenswert, wer frei davon!

[Ihr saht die schöne Kleopatra,
Ihr wisst, was aus ihr wurd'!
Zwei Kaiser fielen ihr zum Raub.
Da hat sie sich zu Tode gehurt
Und welkte hin und wurde Staub.
Wie groß und schön war Babylon!
Und seht, da war es noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Schönheit hatte sie so weit gebracht -
Beneidenswert, wer frei davon!]

Ihr saht den kühnen Cäsar dann,
Ihr wisst, was aus ihm wurd'.
Der saß wie'n Gott auf dem Altar
Und wurde ermordet, wie ihr erfuhrt,
Und zwar als er am größten war.
Wie schrie der laut: Auch du, mein Sohn!
Denn seht, da war es noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Kühnheit hatte ihn so weit gebracht!
Beneidenswert, wer frei davon!

Ihr kennt den redlichen Sokrates,
Der stets die Wahrheit sprach:
Ach nein, sie wussten ihm keinen Dank,
Vielmehr stellten die Obern böse ihm nach
Und reichten ihm den Schierlingstrank.
Wie redlich war des Volkes großer Sohn!
Und seht, da war es noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Redlichkeit hatt' ihn so weit gebracht!
Beneidenswert, wer frei davon!

[Der heilige Martin, wie ihr wisst,
Ertrug nicht fremde Not.
Er sah im Schnee einen armen Mann,
Und er bot seinen halben Mantel ihm an
Da frorn sie alle beid' zu Tod.
Der Mann sah nicht auf irdischen Lohn!
Da sah die Welt die Folgen schon:
Selbstlosigkeit hatt' ihn so weit gebracht!
Beneidenswert, wer frei davon!]

Hier seht ihr ordentliche Leut,
Haltend die zehn Gebot'.
Es hat uns bisher nichts genützt.
Ihr, die am warmen Ofen sitzt,
Helft lindern unsre große Not!
Wie kreuzbrav waren wir doch schon!
Und seht, da war es noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Gottesfurcht hat uns so weit gebracht!
Beneidenswert, wer frei davon!  

Aus "Mutter Courage und ihre Kinder" (1939 bis 1940/41). In dieser Version weicht das brechtsche Salomon-Lied von dem Salomon-Song in der "Dreigroschenoper" (1928) ab.

♫ How Fortunate the Man With None

Detlev von Liliencron: Trutz, blanke Hans

[…] Am 15. Januar 1362, begann die Zweite Marcellusflut, hier im Norden besser bekannt als Grote Mandrenke. Die Sturmflut fiel erst am 17. Januar wieder ab. In ihrem Verlauf zerlegt sie die Uthlande in Inseln, Halligen und Marschen, die Stadt Rungholt versank.
Detlef von Liliencron, der 1882 zum Hardesvogt der heutigen Hallig Südfall ernannt wurde, verdichtete die Rungholtsage zu seiner wohl bekanntesten Ballade. Rungholt war wohl eine bäuerliche, für damalige Verhältnisse große Stadt, unterhielt aber keine Städtepartnerschaften mit Sündenbabel, Atlantis, Sodom und Gomorra. [:)] Gleichwohl wurde aus Rungholt nach und nach ein sagenumworbener Ort voller Reichtum, Gottlosigkeit und anderer Schlechtigkeiten. Erst in diesem Jahrhundert konnte ihre Existenz und genaue Lage aufgrund von Funden zweifelsfrei belegt werden.
Rungholt
Quelle: Landesblog Schleswig-Holstein
Detlev von Liliencron (T, 1883) / Achim Reichel (M, 1978): Trutz, blanke Hans

Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Noch schlagen die Wellen da wild und empört,
wie damals, als sie die Marschen zerstört.
Die Maschine des Dampfers zitterte, stöhnte,
aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte:
Trutz, blanke Hans!

Von der Nordsee, der Mordsee, vom Festland geschieden,
liegen die friesischen Inseln im Frieden.
Und Zeugen weltenvernichtender Wut,
taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.
Die Möwe zankt schon auf wachsenden Watten,
der Seehund sonnt sich auf sandigen Platten.
Trutz, blanke Hans!

Im Ozean, mitten, schläft bis zur Stunde
ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
die Schwanzflosse spielt bei Brasiliens Sand.
Es zieht, sechs Stunden, den Atem nach innen,
und treibt ihn, sechs Stunden, wieder von hinnen.
Trutz, blanke Hans!

Doch einmal in jedem Jahrhundert entlassen
die Kiemen gewaltige Wassermassen.
Dann holt das Untier tiefer Atem ein
und peitscht die Wellen und schläft wieder ein.
Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken,
viel reiche Länder und Städte versinken.
Trutz, blanke Hans!

Rungholt ist reich und wird immer reicher,
kein Korn mehr faßt selbst der größte Speicher.
Wie zur Blütezeit im alten Rom
staut hier täglich der Menschenstrom.
Die Sänften tragen Syrer und Mohren,
mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren.
Trutz, blanke Hans!

Auf allen Märkten, auf allen Gassen
lärmende Leute, betrunkene Massen.
Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:
»Wir trutzen dir, blanker Hans, Nordseeteich!«
Und wie sie drohend die Fäuste ballen,
zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.
Trutz, blanke Hans!

Die Wasser ebben, die Vögel ruhen,
der liebe Gott geht auf leisesten Schuhen.
Der Mond zieht am Himmel gelassen die Bahn,
belächelt der protzigen Rungholter Wahn.
Von Brasilien glänzt bis zu Norwegs Riffen
das Meer wie schlafender Stahl, der geschliffen.
Trutz, blanke Hans!

Und überall Friede, im Meer, in den Landen.
Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
Das Scheusal wälzte sich, atmete tief
und schloß die Augen wieder und schlief.
Und rauschende, schwarze, langmähnige Wogen
kommen wie rasende Rosse geflogen.
Trutz, blanke Hans!

Ein einziger Schrei - die Stadt ist versunken,
und Hunderttausende sind ertrunken.
Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,
schwamm andern Tags der stumme Fisch.
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Trutz, blanke Hans!

Detlev Freiherr von Liliencron (1844-1909)

Detlev von Liliencron: Trutz, blanke Hans

Nein!

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir mor-
gen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr ma-
chen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie
dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für
Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN !
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt
Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN !
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
keine Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN !
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt
es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN !
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN !
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum
Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins :
Sag NEIN !
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Trup-
pentransporter, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen
kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!


Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter
in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter
in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdtei-
len, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder ge-
bären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für
neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!


Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:


dann:


In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen
Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver was-
serleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, al-
gen-, tang- und muschelüberwest, den früher so schimmernden dröh-
nenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben -
die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige
blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der
Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen,
in verlorenen kraterzerrissenen Straßen-


eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen,
gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten
und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und
gierig, unaufhaltsam -


der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen,
der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf
den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen
Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken -


in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte
sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln -


in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Spei-
chern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kür-
bis und Kirschsaft verkommen - das Brot unter den umgestürzten Ti-
schen und auf zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelau-
fene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird
neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer
und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der
stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln
-zerbröckeln -zerbröckeln -


dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpeste-
ter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne
und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den un-
übersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen
betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig,
lästernd, klagend -und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört
in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern
im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen,
ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch -

 


all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute
nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn -- wenn -- wenn ihr nicht
NEIN sagt.

Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins (1947)

 

Wenn sie jetzt ganz unverhohlen
Mit bewährten Kriegsparolen
Scheinheilig zum Höchsten beten
Und das Recht mit Füssen treten
Wenn sie dann in lauten Tönen
Einzig ihrer Machtgier frönen
Denn am kriegerischen Wesen
Muss nun mal die Welt genesen
Dann steh auf und misch dich ein
Sage nein

Meistens rückt dann ein Herr Wichtig
Die Geschichte wieder richtig
Und behauptet nur mit Kriegen
Ließe sich die Welt befrieden
Diese fleischgewordne Lüge -
Ach man kennt es zur Genüge
Mach dich stark und misch dich ein
Zeig es diesem dummen Schwein
Sage Nein

Ob als Penner oder Sänger
Bänker oder Müßiggänger
Ob als Priester oder Lehrer
Hausfrau oder Straßenkehrer
Ob du sechs bist oder hundert
Sei nicht nur erschreckt, verwundert
Tobe zürne, misch dich ein:
Sage Nein

Wenn sie dich jetzt rekrutieren
Hab den Mut zu desertieren
Lass sie stehn, die Generäle
Und verweigre die Befehle
Menschen werden zu Maschinen
In den Militäranstalten
Niemand soll mehr denen dienen
Die die Welt so schlecht verwalten
Nie mehr solln uns jene lenken
Die nicht mit dem Herzen denken
Lass dich nie mehr auf sie ein
Sage Nein

Doch es tut sich was, ihr Lieben
Auf den Straßen, auf den Plätzen
Finden sich die Freunde ein
Sich dem Wahn zu widersetzen
Jetzt muss Schluss sein mit dem Schweigen
Dem Gehorsam, dem Verstecken
Wenn für unser Wohlbefinden
Hunderttausende verrecken
Dann ist´s Zeit zu widerstehen
Wenn, dann aufrecht untergehn
Sage Nein

Konstantin Wecker (2003)

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Ich beneide sie alle, die vergessen können,
die sich beruhigt schlafen legen und keine Träume haben.
Ich beneide mich selbst um die Augenblicke blinder Zufriedenheit:
erreichtes Urlaubsziel, Nordseebad, Notre Dame,
roter Burgunder im Glas und der Tag des Gehaltsempfangs.
Im Grunde aber meine ich, daß auch das gute Gewissen nicht ausreicht,
und ich zweifle an der Güte des Schlafes, in dem wir uns alle wiegen.
Es gibt kein reines Glück mehr (- gab es das jemals -),
und ich möchte den einen oder andern Schläfer aufwecken können
und ihm sagen, es ist gut so.

Fuhrest auch du einmal aus den Armen der Liebe auf,
weil ein Schrei dein Ohr traf, jener Schrei,
den unaufhörlich die Erde ausschreit und den du sonst
für das Geräusch des Regens halten magst
oder für das Rauschen des Winds.
Sieh, was es gibt: Gefängnis und Folterung,
Blindheit und Lähmung, Tod in vieler Gestalt,
den körperlosen Schmerz und die Angst, die das Leben meint.
Die Seufzer aus vielen Mündern sammelt die Erde,
und in den Augen der Menschen, die du liebst, wohnt die Bestürzung.
Alles, was geschieht, geht dich an.

Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht!
Bleibt wach, weil das Entsetzliche näher kommt.
Auch zu dir kommt es, der weit entfernt wohnt von den Stätten,
wo Blut vergossen wird,
auch zu dir und deinem Nachmittagsschlaf,
worin du ungern gestört wirst.
Wenn es heute nicht kommt, kommt es morgen,
aber sei gewiss.

”Oh, angenehmer Schlaf
auf den Kissen mit roten Blumen,
einem Weihnachtsgeschenk von Anita,
woran sie drei Wochen gestickt hat,
oh, angenehmer Schlaf,
wenn der Braten fett war und das Gemüse zart.

Man denkt im Einschlummern an die Wochenschau
von gestern abend:
Osterlämmer, erwachende Natur,
Eröffnung der Spielbank in Baden-Baden,
Cambridge siegte gegen Oxford mit zweieinhalb Längen, -
das genügt, das Gehirn zu beschäftigen.

Oh, dieses weiche Kissen, Daunen aus erster Wahl!
Auf ihm vergißt man das Ärgerliche der Welt,
jene Nachricht zum Beispiel:
Die wegen Abtreibung Angeklagte sagte zu ihrer Verteidigung:
Die Frau, Mutter von sieben Kindern, kam zu mir mit einem Säugling,
für den sie keine Windeln hatte und der
in Zeitungspapier gewickelt war.
Nun, das sind Angelegenheiten des Gerichtes, nicht unsre.
Man kann dagegen nichts tun,
wenn einer etwas härter liegt als der andere.
Und was kommen mag, unsere Enkel mögen es ausfechten.”

”Ah, du schläfst schon? Wache gut auf, mein Freund!
Schon läuft der Strom in den Umzäunungen,
und die Posten sind aufgestellt.”

Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht,
die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind,
wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder,
die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!

Günter Eich, Hörspielzyklus "Träume" (NWDR, 1951)