Der Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeld, vom Max-Planck-Institut in München, beschreibt eine Ipo-Mutter in West-Neuguinea mit ihren zwei kleinen Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Der kleine isst ein Taro-Stück, eine Art Brot. Die kleine greift danach. Beide fangen an zu schreien. Die Mutter kommt. Der Junge reicht ihr von sich aus das Taro-Stück. Sie bricht es entzwei und gibt beide Teile dem Bruder zurück. Erstaunt bemerkt er, dass er jetzt zwei Stücke hat. Und nachdem er beide für einen Moment angeschaut hat, gibt er eins der Schwester. Wie würden wir uns in einer ähnlichen Situation verhalten? Würden wir nicht das Stückchen Brot austeilen, um auf diese Weise unserem Kind die Wirklichkeit des Teilens beizubringen? Wer von uns hätte es dem Kind überlassen? Wir glauben gar nicht, weil unsere Eltern es nicht glaubten, dass ein Kleinkind von zwei oder drei Jahren es in sich hat so etwas zu begreifen oder tun zu wollen. Und auf solche Weisen geben wir den Inhalt einer Kultur weiter und schränken die Möglichkeiten des Selbstwertes und unserer Wirklichkeit ein. Ein Kind, anstatt (es) von sich heraus initiieren zu können, was der eigentliche Weg zu einem gesunden Selbstwert ist, ordnet sich dem Willen einer Autorität unter und zugleich ist dieser Vorgang die Quelle unerkannter (und) deswegen unbeherrschbarer und unlenkbarer Aggressionen. Und da solche Kinder nicht lernen, die Welt aus den eigenen Möglichkeiten heraus zu bewegen, wird die damit verbundene Hilflosigkeit zu einem unerträglichen Zustand. Und als Selbstschutz werden Kinder dann gefühlslos, gewalttätig oder beides. Der Kontext, in dem dies geschieht, zementiert den Vorgang, wodurch ein Selbstwert unabhängig von äußeren Symbolen der Zulänglichkeit und Stärke gar nicht möglich wird.
Aus: Arno Gruen: Identität und Unmenschlichkeit.
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